Von Bryce Beamer
Josh McHugh ist Kopf von FutureOf.org, einer Gruppe von Autoren und Forschern, die sich mit den künftigen Entwicklungen im Sport und in der Medizin befassen. Zudem ist er einer der Gründer von Attention Span Media, einer Innovationsagentur, die Unternehmen mit Hilfe von strategischen Einblicken und Marketing voranbringt.
In diesem exklusiven Interview befassen wir uns mit McHughs Einschätzungen des postpandemischen Gesundheitsumfelds und der Zukunft der KI in der Gesundheitsfürsorge.
Legende: Josh McHugh
Bryce Beamer: Im Jahr 2018 haben Sie „The Future of Medicine“ veröffentlicht. In diesem Artikel wurde prognostiziert, wie sich neue Technologien in den nächsten 25 Jahren auf die Gesundheitsfürsorge auswirken. Die Welt hat in den fünf Jahren seit Veröffentlichung radikale Veränderungen und technologisches Wachstum erlebt. Was waren die größten Überraschungen in Bezug auf die Entwicklung der Medizintechnik?
Josh McHugh: Die größte Überraschung für mich war, dass sich Regierungen und Pharmaindustrie auf der ganzen Welt schon zu Beginn der Covid-Pandemie zusammengetan haben, um mit völlig neuer Herangehensweise eine Reihe von Impfstoffen herzustellen. Wir haben in „The Future of Medicine“ eine Pandemie prognostiziert und geschlossen, dass eine grenzübergreifende Zusammenarbeit erforderlich wäre, um sie zu überwinden. Dies dann tatsächlich beobachten zu können, war fantastisch.
BB: In Ihrem Artikel wurden einige politische und infrastrukturelle Herausforderungen prognostiziert, die sich im Rahmen der COVID-19-Pandemie bewahrheitet haben. Welche Technologien werden Ihres Erachtens am meisten zur Minimierung der Auswirkungen künftiger Epidemien beitragen und wie können sie implementiert werden, um Epidemien zu verhindern?
JM: Die mRNA-Impfstoffe stellen einen Durchbruch dar, weil sie einfach gestaltet und schnell entwickelt werden können und die Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Impfstoffen senken. Mit dem zielgerichteten mRNA-Ansatz können potenziell nicht nur Impfstoffe, sondern darüber hinausgehende Behandlungen beispielsweise für Krebs sowie Gentherapien entwickelt werden.
Wir haben die Entwicklung von „DNS-Wächtern“ prognostiziert, also von Geräten mit Sensoren zur Erkennung von Pathogenen in der Atemluft, die an Häfen, Grenzübergängen, Flughäfen und anderen Verkehrsknotenpunkten aufgestellt werden. Diese Geräte gibt es zwar bereits, sie sind aber noch nicht sehr verbreitet. Ein quasi vorbereitender Schritt hin zu DNS-Wächtern sind die Temperatursensoren, die auf dem Höhepunkt der Pandemie an einigen Flughägen zum Einsatz kamen.
BB: COVID-19 hat dazu geführt, dass Mittel für den Einsatz von Tools für Home Office, Fernunterricht und Telemedizin bereitgestellt und erhebliche technologische Fortschritte erzielt wurden. Welche technologischen Lücken haben sich beim Einsatz von Tools für virtuelle Konferenzen in der Gesundheitsfürsorge aufgetan?
JM: Auf dem Höhepunkt der COVID-Pandemie erlebte die Telemedizin einen Boom. Seitdem ist die Nachfrage der Patienten nach telemedizinischer Beratung hoch geblieben. Obwohl telemedizinische Konsultationen für Patienten sehr praktisch sind, erschweren sie Ärzten die Diagnosestellung aufgrund fehlender visueller und taktiler Analysen. Zudem verlängern sie die Konsultationen, weil mehr Fragen gestellt und beantwortet werden müssen. Wir gehen davon aus, dass sich diese Lücke (zwischen dem positiven Patientenerlebnis und dem negativen Erlebnis des Mediziners) in naher Zukunft durch eine Kombination aus sensorgestützten Scannern zur Erhebung von Gesundheitsdaten im privaten Umfeld, Arztbesuche (augmented und virtuell, statt nur digital) sowie KI, die Daten aus mehr unterschiedlichen Quellen erfasst und Mediziner bei der schnelleren und genaueren Diagnose des Patientenzustands unterstützt, schließen wird.
BB: Welche anderen einflussreichen Technologien werden Ihres Erachtens aus Industrie, Bildung oder Sport in die Gesundheitsfürsorge übernommen werden?
JM: Die ersten Schlagzeilen zu LLMs, also z. B. die GPT-Programme von OpenAI, konzentrierten sich hauptsächlich auf die Auswirkungen generativer KI auf die Bildung: Studenten, die mit der Technologie bei schriftlichen Aufgaben schummeln, und Modelle, die standardisierte Tests bestehen können. Aber schon kurz danach wurde die Möglichkeit zum Thema, LLM mit hochwertigen, kuratierten Medizindaten trainieren. Zu verdanken ist dies dem unglaublichen Eric Topol vom Scripps Translational Research Institute.
BB: Ihr Team hat im Hinblick auf die Vorteile von KI im Gesundheitswesen ein erhebliches Wachstum von KI und maschinellem Lernen aufgrund der Möglichkeiten bei der Bildverarbeitung mittels ML prognostiziert. In den letzten 12 Monaten haben wir ein massives Wachstum bei LLM-KI beobachten können. Welche Rolle werden LLM in der Gesundheitsfürsorge spielen?
JM: LLM werden für das Gesundheitswesen sehr wichtig werden. Sie werden weltweit medizinische Best Practices demokratisieren und im Handumdrehen global verfügbar machen. Natürlich wird noch riesiger Aufwand – Überwachung, Datenhygiene, Optimierung und Praxistests – erforderlich sein, bevor die Utopie eines KI-Gesundheitswesens Wirklichkeit wird. Aber es wird kommen.
BB: Welche Herausforderungen wird die Einführung der KI in unsere Gesundheitssysteme mit sich bringen?
JM: Das Training eines LLM mit den Daten Ihres Unternehmens stellt einen großen Vorteil dar, führt aber auch zu Problemen, wenn die Trainingsdaten nicht anonymisiert und in der Systemarchitektur nicht ausreichend gesichert sind. Es gibt mindestens einen kürzlich bekannt gewordenen Fall, bei dem Forscher versehentlich mehrere Terabyte privater Daten offengelegt haben.
BB: In „The Future of Medicine“ befassen Sie sich mit dem Konzept der Reverse Innovation (auch als Trickle-up-Innovation bezeichnet) und der Problematik, dass Entwicklungen zum Wohle von Entwicklungsländern durchaus zu Veränderungen in den Gesundheitssystemen der Ersten Welt führen können. Können Sie hierfür Beispiele benennen oder Projekte beschreiben, bei denen diese Herangehensweise erfolgreich umgesetzt wurde?
JM: Die nach meinem Dafürhalten besten Beispiele für Trickle-up-Innovationen sind derzeit im Bereich der Prothetik zu finden. In den letzten Jahren gab es einige wunderbare Geschichten aus dem Sudan (Project Daniel) und Sierra Leone (Prosthetics for All): Innovative humanitäre Helfer nutzten 3D-Drucktechnologie, um Prothesen für Amputierte in diesen vom Krieg verwüsteten Ländern zu entwerfen, anzupassen und zu bauen. Das globale Netzwerk e-NABLE mit Mitgliedern in mehr als 100 Ländern produziert kostenlose 3D-gedruckte Prothesen für Bedürftige. Dank dieser kostengünstigen globalen Innovation konnten die Preise für Prothesen mit einigen der modernsten Merkmale von 50.000 bis 100.000 USD auf unter 10.000 USD gesenkt werden.
BB: Wie konnte das Unternehmen diese neue Herangehensweise umsetzen?
JM: Für all diese Organisationen, von Grassroots (Prosthetics for All und e-Nable) bis hin zu Unternehmen (Unlimited Tomorrow und Open Bionics), hat die Kostensenkung durch den Einsatz des 3D-Drucks in Verbindung mit der Fähigkeit, zunehmend intelligente und leistungsfähige Controllersoftware und Sensoren in die Prothesen zu integrieren, ihre Arbeit erst möglich gemacht.
BB: Welche wichtigen Vorteile und potenziellen Risiken resultieren aus der zunehmenden Integration von Robotern – z. B. Chirurgieroboter und Roboter für die Patientenpflege – in Abläufe der Gesundheitsfürsorge?
JM: Chirurgieroboter waren für die Präzisionschirurgie ein großer Fortschritt. Wir sehen hier keine größeren Gefahren, da sie nicht als Ersatz für Chirurgen entwickelt und eingesetzt werden, sondern als Werkzeug dienen, mit dem Chirurgen Operationen präziser und effizienter durchführen können. Jenseits dessen wird die Technologie der Exoskelette, die aus der Prothetik hervorgeht, zunehmend von der Generation X eingesetzt. Folgen werden Soft Robots wie Baymax im Film, die uns im Alter unterstützen können.
BB: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass der Einsatz und die Effektivität von Robotern in der Zukunft regulatorischen Maßnahmen für den Gesundheitssektor unterworfen wird?“
JM: Wir rechnen im kommenden Jahrzehnt mit einem zunehmenden Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Regulatorische Maßnahmen werden Anreize für den Einsatz von Robotern im Gesundheitswesen schaffen.
Unser Dank richtet sich an Josh McHugh für seine Einschätzungen zum Gesundheitswesen und an Attention Span Media für die Bemühungen dieser Organisation um die Gestaltung der Zukunft. Die neue Studie „Future of Health“ finden Sie hier.
Bryce Beamer ist ein erfahrener Produktentwickler, der an der Schnittstelle von Elektronik, Gebrauchsgütern und Textilien arbeitet und sich auf innovative Fertigungsverfahren und Speculative Design für das Benutzererlebnis zu konzentrieren. Bryce hat an Wearables für Sportkleidung, Medizin und Sicherheit in industriellen Anwendungen gearbeitet und dabei seine akademischen Forschungen am Rochester Institute of Technology mit seiner beruflichen Praxis zusammenführt.
Die Meinungen sind Meinungen des Autors, nicht von Arrow Electronics Inc. oder Partnerunternehmen.