Von Jeremy Cook
In den meisten Erörterungen des Übergangs von der Stromerzeugung aus fossiler Energie hin zu Solar- und Windenergie zeichnet sich eine Tendenz zum Ersetzen der vorhandenen Kraftwerke durch Kraftwerke für erneuerbare Energien ab. Der modulare Charakter der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bedeutet – in Verbindung mit neuen Optionen für Energiespeichersysteme – jedoch, dass es noch eine andere Möglichkeit gibt: das virtuelle Kraftwerk (Virtual Power Plant, VPP).
Was ist ein virtuelles Kraftwerk?
Das VPP-Konzept fasst verteilte Energieressourcen (Distributed Energy Resources, DER) zusammen, damit sie als koordinierte Stromversorgung dienen und die herkömmliche zentrale Stromerzeugung ergänzen oder sogar ersetzen. Die Stromproduktion aus Solar- und Windenergie unter Verwendung von Generatoren für Wohngebäude oder für den kommerziellen Einsatz kann für ein Netz von Benutzern als primäre oder ergänzende Energiequelle eingesetzt werden.
Traditionell werden Wohn- und Geschäftsgebäude von zentralen Kraftwerken über das Stromnetz mit Strom versorgt. Und auch, wenn es sich dabei nicht um eine lineare Verknüpfung handelt, liegt letztendlich doch eine direkte Beziehung zwischen Kraftwerk und Benutzer vor. Die kommenden Smart Grids mit ihrer Infrastruktur sowie den intelligenten Messsystemen ermöglichen es den Verbrauchern, Strom in das Netz zu speisen, so die Last der traditionellen Stromerzeuger zu senken und finanziell zu profitieren. Verbraucher können Strom auch speichern, also nach Bedarf kaufen und verkaufen. Auf der abgelegenen Insel Eigg in Schottland wurden bereits VPP-Systeme als Smart Grids implementiert. Die Nutzung von Privatpersonen und Unternehmen wird koordiniert, um eine Netzüberlastung zu verhindern.
Warum benötigen wir virtuelle Kraftwerke?
Das Ideal im Hinblick auf Solaranlagen und Batteriebackup für Wohngebäude ist eine Monatsrechnung von 0 EUR. In extremen Fällen wird möglicherweise eine völlige Unabhängigkeit vom Stromnetz angestrebt, also eine ausschließliche Versorgung vom eigenen Land, genauer: von den eintreffenden Sonnenstrahlen.
Für eine solche netzunabhängige Konfiguration können extreme Kosten anfallen. Und wenn es zu einem Ausfall eigener Geräte kommt, müssen diese repariert werden, bevor wieder Strom verfügbar ist. Aus Anwenderperspektive bieten VPP die meisten Vorteile einer netzunabhängigen Konfiguration. Dies aber zu einem deutlich niedrigeren Preis sowie mit dem Stromnetz als Notstromversorgung. Und in Bezug auf die Gemeinschaft haben VPP im Vergleich zu einer zentralen, mit Kraftstoff oder Sonnenenergie betriebenen Anlage ebenfalls einige Vorteile.
Bedenken Sie nur das modulare Konzept der VPP sowie die Tatsache, dass die Stromerzeugung am Ort des Verbrauchs (oder in dessen Nähe) stattfindet. Wenn bei einem herkömmlichen Stromnetz ein Problem mit der Stromübertragung in einer Region auftritt, wirkt sich dies häufig auch auf andere Regionen aus. Das VPP-Konzept eröffnet lokalere Möglichkeiten der Nutzung anderer Strompfade, damit die Lichter nicht ausgehen. Wahrscheinlich ergeben sich auch geringere Übertragungsverluste, weil die Stromerzeugung normalerweise näher am Ort des Stromverbrauchs erfolgt.
Und für Sie persönlich können bei Ausfall eines Ihrer Geräte das Netz und andere DER Notstrom liefern. So entsteht insgesamt eine sehr stabile Stromversorgung.
Kraftwerke (Kohle, Solar, Atom usw.) benötigen Flächen, die andernfalls für Wälder, Landwirtschaft oder Parks genutzt werden könnten. VPP nutzen dagegen anderweitig ungenutzte Dachflächen für Sonnenkollektoren. Solarmodule können auch über vorhandenen Parkflächen installiert werden. Sie erzeugen dann nicht nur Strom, sondern ermöglichen zugleich das Abstellen der Kraftfahrzeuge im Schatten. Noch vorteilhafter erscheint das Parken/DER-Szenario, wenn es um Stromspeichersysteme für Elektrofahrzeuge und Ladesäulen ergänzt wird.
Das VPP-Konzept kann Spitzenlastkraftwerke ersetzen, die hochgefahren werden, wenn das Netz überdurchschnittlich belastet wird. Diese Spitzenlastkraftwerke sind im Allgemeinen teuer und im Vergleich zu Kraftwerken zur Deckung der konstanten Grundlast im Betrieb ineffizient. Eine Möglichkeit, diese Spitzenlasten abzufangen, ist die Nutzung verfügbarer dezentraler Energiequellen in Verbindung mit dezentralen Batteriespeichern. Eine etwas weniger offensichtliche, aber trotzdem wichtige Technik ist die automatische Senkung des Energieverbrauchs.
Das Programm EnergyWise von Duke Energy kann beispielsweise die Warmwasserbereitung, Poolpumpen und HLK-Anlagen ausschalten, wenn der Gesamtstrombedarf im Netz zu hoch ist. Kompensiert wird dies durch eine kleine Gutschrift. Die resultierenden finanziellen Einsparungen sind in der Regel gering, dafür ist der Betrieb des Systems praktisch kaum spürbar. Auch diese Lösung kann als Energiespeichersystem betrachtet werden, weil bereits erwärmtes Wasser weiterhin genutzt werden kann und weil die Temperatur im Gebäude für einige Zeit (nahezu) unverändert bleibt, auch wenn die HLK nicht arbeitet.
Virtuelle Kraftwerke: Ressourcen koordinieren
In einen VPP-Szenario muss die Koordination zwischen den Quellen auf einer extrem grundlegenden Ebene erfolgen, damit auch die Leitungsfrequenzen richtig abgestimmt werden. Zudem sind Übertragungen über längere Distanzen und die Wartung des Netzes insgesamt zu berücksichtigen. Beides liegt jenseits der Möglichkeiten von Hauseigentümern.
Damit das Zukunftskonzept VPP gut funktioniert, ist hohe Effizienz unverzichtbar. Deshalb sollten für die Koordination SiC-Transistoren, Stromsensoren und Powerline Communication (PLC) in Erwägung gezogen werden. Unter Berücksichtigung der künftigen Anforderungen ist nicht zu erwarten, dass die Stromversorger verschwinden werden. Denkbar ist aber durchaus, dass sie in den kommenden Jahrzehnten eine andere Form annehmen werden.